Nach der Bundestagswahl hat sich die Initiative SPD++ gegründet und Vorschläge für eine organisatorische Öffnung der SPD vorgelegt. Die Autorin Juli Zeh gehört zu den ersten Unterstützerinnen dieser Initiative. Sie stand nun freundlicherweise für ein Interview zur Situation der SPD zur Verfügung.

Die Fragen stellte Sven Wieduwilt. Er ist stellv. Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Hildesheim und Vorsitzender des SPD-Gemeindeverbandes Holle. Der Gemeindeverband Holle unterstützt die Initiative SPD++.

Liebe Juli Zeh,

Sie begleiten die SPD bereits längere Zeit kritisch-solidarisch. Was ist Ihr Antrieb hierfür? Die Einschätzung, dass die Sozialdemokratie „eine politische Methode zur Aufrechterhaltung gesellschaftlichen Friedens ist“, wie Sie 2011 in einem Beitrag für die „Berliner Republik“ schrieben?

Ja, aus meiner Sicht gilt dieser Satz nach wie vor. Heute würde ich noch hinzufügen: Weil die Sozialdemokratie den Auftrag hat, ein liebens- und lebenswertes Europa zu gestalten.

Direkt nach der Bundestagswahl und der desaströsen Niederlage für die SPD wurde die Initiative SPD++ gegründet. Sie gehörten zu den ersten Unterstützerinnen und Unterstützern. Warum diese Initiative?

Auch wenn ich nicht finde, dass sich die SPD ständig Asche aufs Haupt werfen muss, weil sie in den letzten Jahren auch sehr viel richtig gemacht hat, ist es dennoch gut, nach neuen Wegen in die Zukunft zu suchen. Vor allem gefällt mir die Idee, Parteistrukturen durchlässiger und dann gerade auch für jüngere Menschen attraktiver zu machen.

In dem bereits erwähnten Beitrag für die „Berliner Republik“ schrieben Sie, dass die „SPD akzeptieren (muss), dass sich das Menschenbild in unserer Gesellschaft wandelt, und dementsprechend ihre Politikangebote sowie die Rhetorik an die neue Bedürfnislage anpassen.“ Hat die SPD schlicht und ergreifend gesellschaftlichen Wandel verschlafen?

Zumindest gibt es eine erkennbare Trägheit, wenn es darum geht, altbewährte Denkmuster aufzufrischen. Unsere Arbeitswelt ist einem rasanten Wandel unterworfen, und dieser ist noch längst nicht abgeschlossen. Angestellte und Freiberufler stehen heute unter ganz anderem Druck und vor anderen Herausforderungen als vor einigen Jahrzehnten. Nicht auf alles können Mindestlohn und Tarifverträge Antwort geben.

Oftmals wird über organisatorische Herausforderungen und notwendige Veränderungen gesprochen. Reicht das aus, um die strukturellen Probleme der SPD zu beheben?

Dazu kann ich wenig sagen, denn ich kenne die Parteistrukturen nicht gut genug von innen. Allgemein würde ich mir wünschen, dass es möglichst viele Mitwirkungsmöglichkeiten „von unten nach oben“ gibt, gerne auch über das Internet.

Bedarf es auch einer programmatischen Erneuerung der SPD? Und wo sollte die SPD programmatische Schwerpunkte setzen?

Die SPD sollte parteiintern und parteiextern das Nachdenken über die großen Zukunftsfragen in Gang setzen. Wenn wir uns Deutschland im Jahr 2030 vorstellen – wo wollen wir stehen? Wie soll die Europäische Union aussehen? Wie soll unsere Arbeitswelt gestaltet sein? Wie muss die Finanzwelt reguliert sein, um weitere Krisen zu vermeiden? Welche Rahmenbedingungen wünschen wir uns für neue, vor allem digitale Technologien? - Das alles muss jetzt durchdacht werden, damit man es in politische Programmatik und anschließend in Zukunftsgestaltung umsetzen kann.

Zur Person Juli Zeh (Quelle u.a.: http://www.juli-zeh.de/)

Juli Zeh, 1974 in Bonn geboren, Jurastudium in Passau und Leipzig, Studium des Europa- und Völkerrechts, Promotion. Längere Aufenthalte in New York und Krakau.

Schon ihr Debütroman „Adler und Engel” (2001) wurde zu einem Welterfolg, inzwischen sind ihre Romane in 35 Sprachen übersetzt.

Juli Zeh wurde für ihr Werk vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Rauriser Literaturpreis (2002), dem Hölderlin-Förderpreis (2003), dem Ernst-Toller-Preis (2003), dem Carl-Amery-Literaturpreis (2009), dem Thomas-Mann-Preis (2013) und dem Hildegard-von-Bingen-Preis (2015).