Nach der Bundestagswahl und der Niederlage für die SPD hat sich die Initiative SPD++ gegründet und Vorschläge für eine organisatorische Öffnung der SPD vorgelegt. Der SPD-Gemeindeverband Holle hat sich einige der Forderungen zu eigen gemacht und als Antrag zum Bundesparteitag eingereicht.
Björn Böhning, früherer Juso-Bundesvorsitzender und einer der ersten Unterstützer von SPD ++, stand nun für ein Interview hierzu zur Verfügung. Die Fragen stellte Sven Wieduwilt, Vorsitzender des SPD-Gemeindeverbandes Holle und stellvertretender Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Hildesheim.


Lieber Björn,
direkt nach der Bundestagswahl und der desaströsen Niederlage für die SPD wurde die Initiative SPD++ gegründet. Warum diese Initiative?


Mit dem Wahlergebnis ist mehr als deutlich geworden, dass die SPD sich auf allen Ebenen – programmatisch, personell – aber eben auch organisatorisch erneuern muss. Wir sind überzeugt, dass die Partei sich breit öffnen muss und neue Mitmachangebote jenseits der Pseudo-Beteiligung schaffen sollte. Dafür haben wir mit vielen anderen zahlreiche Vorschläge vorgelegt.

Forderungen und vor allem den Bedarf nach einer Modernisierung der SPD gab es in den letzten 20 Jahren immer wieder: Bislang sind alle Initiativen überwiegend versandet. Wie schätzt Du die Erfolgschancen für die Forderungen von SPD++ ein? Und generell die Perspektiven für eine organisatorische Neuaufstellung der SPD?

Das sehe ich anders. Viele Dinge, die jetzt im Leitantrag von Martin Schulz für den Parteitag formuliert sind, sind weitgehend schon Beschlusslage der Partei, häufig bereits erprobt oder sogar schon durchgeführt – wie die breite Mitgliederbefragung unter Gabriel und Nahles. Wir haben sogar ein gutes digitales Grundsatzprogramm beschlossen, ohne dass die SPD in der Breite dies wahrgenommen hätte. Das Problem erscheint mir also eher in der Umsetzung zu liegen. Und für die Umsetzung sind Pioniere und Pionierprojekte in allen Ebenen der Partei nötig. Dafür braucht es also auch Unterstützung durch die Gliederungen und die Parteiführung, aber auch die Einbindung der tausenden neuen Mitglieder – welche nach meinem Eindruck noch nicht hinreichend den Weg in die Strukturen gefunden haben. Und vielleicht müssen wir eben auch hier neue Angebote schaffen.

Oftmals wird über organisatorische Herausforderungen und notwendige Veränderungen gesprochen. Reicht das aus, um die strukturellen Probleme der SPD zu beheben?

Nein, Natürlich nicht. Aber es ist eine notwendige Bedingung. Eine Volkspartei wie die SPD lebt von ihrer Organisationskraft, ihrem Mut, sich immer wieder zu erneuern und natürlich auch ihrer personellen Verankerung in allen gesellschaftlichen Bereichen. Dazu muss aber natürlich eine Programmatik kommen, mit der offenbar in den vergangenen Monaten die SPD nicht hinreichend überzeugt hat.

Bedarf es auch einer programmatischen Erneuerung unserer Partei? Und wäre die Erarbeitung eines neuen Grundsatzprogramms ein richtiger Weg?

Ich bin da sehr skeptisch, ob es nun richtig ist, ein neues Grundsatzprogramm zu schreiben – auch aus der Erfahrung der Diskussion um das Hamburger Programm. Zuerst müsste ja die Frage stehen, was an letzterem eigentlich so falsch ist? Ich erkenne da viele Ansätze, die auch heute noch sehr aktuell sind. Zudem sehe ich das Problem weniger darin, dass wir nicht Inhalte für alle möglichen Lebensbereiche haben. Vielmehr scheint es doch so, dass die Menschen die SPD in Zeiten des digitalen Wandel des Kapitalismus nicht mehr als Partner sehen, sondern mehr und mehr als unwesentlich. So brauchen wir offenbar neue Schutzräume für diejenigen, denen der Wandel berechtigte Sorgen macht. Hier brauchen wir mehr und nicht weniger Sicherheit. Und übrigens nicht nur das Bildungsversprechen. Und auf der anderen Seite müssen wir im digitalen Wandel die Freiheitsräume und –potenziale, die in den Innovationen des Internets liegen nutzen, um wirtschaftlichen Fortschritt zu mehren, damit viele Menschen gute Arbeit finden.

Das Problem ist also eher, dass wir zwar viele Programme haben, aber wenig überzeugende Lösungen. Das Mittel „Debatte über ein neues Grundsatzprogramm“ scheint eher aus dem letzten Jahrhundert entliehen und den vor uns liegenden Aufgaben nicht angemessen.

Am 6. November 2017 hat Martin Schulz den Leitantrag zum Bundesparteitag vorgestellt? Geht dieser in die richtige Richtung?

Licht und Schatten. Es sind gute organisatorische Ansätze darin, viele sind aber nicht neu und müssen nur praktiziert werden. Ich glaube, wir brauchen aber auch mehr inhaltliche Orientierung und weniger nur Fragen, wenn wir die Menschen überzeugen wollen. Hier muss nachgearbeitet werden.