Seit knapp einem Jahr regiert die SPD wieder im Bund. Dabei kann sich das erste Jahr für die SPD durchaus sehen lassen. Mit der Rente mit 63, dem Mindestlohn, dem Neustart der Energiewende und einer Modernisierung des Staatsbürgerschaftsrechts durch die Abschaffung der sog. Optionspflicht konnten wir in den ersten Monaten der Regierungsarbeit wesentliche Punkte umsetzen, für die wir im letzen Bundestagwahlkampf gekämpft haben.

Auch wenn diese Leistungsbilanz schon heute deutlich besser ausfällt als die von Schwarz-Gelb nach vier Jahren, werden wir auch weiterhin der Motor dieser Bundesregierung sein. Unter den vielen noch anstehenden Aufgaben möchte ich folgende Projekte herausheben:

Mietpreisbremse

Mit der Mietpreisbremse wollen wir erreichen, dass überzogene Preissteigerungen in Ballungsgebieten unterbunden werden. Wir müssen es schaffen, dass Mietpreissteigerungen von 20, 30 Prozent oder sogar noch mehr, die beispielsweise in München feststellbar sind, verhindert werden. Denn es kann nicht sein, dass NormalverdienerInnen aus den Städten hinaus getrieben werden, nur weil sie sich die Mieten nicht mehr leisten können. Die Mietpreisbremse sieht vor, dass bei einem Mieterwechsel die neue Miete maximal zehn Prozent über dem ortsüblichen Niveau liegen darf. In welchen Gebieten dies greift, sollen die Bundesländer für fünf Jahre festlegen. Betroffen sind vor allem Universitäts- und Großstädte. In Kraft treten soll die Mietpreisbremse im kommenden Jahr. Mit moderaten Preissteigerungen wird darüber hinaus auch erreicht, dass sich der Mietspiegel nicht mehr in der bisherigen Geschwindigkeit entwickelt.

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit

Weiter gilt unser Augenmerk dem Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Durchschnittlich verdienen Frauen heute immer noch 22 Prozent weniger als Männer. Hier müssen wir unter anderem ansetzen, indem wir Berufe, die überwiegend von Frauen ausgeübt werden wie. z.B. im Pflege- und Kinderbetreuungsbereich, aufwerten.

Solidarische Lebensleistungsrente

Nicht zu vernachlässigen ist das Problem der Altersarmut. Immer weniger Menschen können von ihrer Rente leben und müssen deshalb – obwohl sie ihr gesamtes Leben gearbeitet haben – beim Sozialamt aufstockende Leistungen beantragen. Diesen menschenunwürdigen Zustand wollen wir beseitigen. Ein erster Schritt in die richtige Richtung ist uns bereits mit dem Mindestlohn gelungen, denn die Höhe der Rente hängt in allererster Linie vom Einkommen und den damit verbundenen Beitragszahlungen während des Erwerbslebens ab. Der Mindestlohn wird also zwangsläufig für durchschnittlich höhere Renten sorgen. Doch damit allein ist das Problem noch nicht gelöst. Deshalb werden wir bis 2017 die solidarische Lebensleistungsrente von 850 Euro als Mindestrente einführen. Dies kommt besonders GeringverdienerInnen und Personen, die Angehörige gepflegt und Kinder erzogen haben, zu Gute.

Außenpolitische Herausforderungen

Unabhängig von den im Koalitionsvertrag festgelegten Aufgaben, stehen wir seit diesem Jahr vor enormen außenpolitischen Herausforderungen. Die Krisenherde in der Ukraine und im Nahen Osten zwingen auch die Bundesregierung zum Handeln.

Besonders schockierend sind die Bilder, die uns seit dem Sommer vom Vormarsch der Terrormiliz „Islamsicher Staat“ im Irak erreichen. Dem Massenmord an den Jesiden und anderen Andersgläubigen, der Massenvergewaltigung von Frauen und der Entführung von Geiseln mit deren anschließender Ermordung durch die Terroristen können und konnten wir nicht tatenlos zuschauen. Neben humanitärer Hilfe rückte sehr schnell auch die Frage nach deutscher Waffenlieferung als Handlungsoption für die Bundesregierung in den Fokus. Damit verbunden war ein intensiver Meinungsbildungsprozess innerhalb der SPD. Keiner von uns hat sich die Entscheidung leicht gemacht. Es existiert unbestritten das Risiko, dass diese Waffen in künftigen Auseinandersetzungen wieder eingesetzt werden. Niemand kann das leugnen. Aber gegen dieses Risiko steht eine Sicherheit: der hunderttausendfache Tod der Jesiden und Kurden, wenn die IS mit ihren modernen Waffen Erbil überrennt. Dem Risiko, dass unsere Waffen in falsche Hände kommen, steht der sichere Tod für Tausende gegenüber. Dabei können wir nicht zuschauen. Am Rande sei erwähnt, dass die Waffenlieferung keineswegs gesetzeswidrig ist, wie gelegentlich behauptet wurde, ganz im Gegenteil. Anders als bei normalen Waffenexporten, die ich gerade gegen den Widerstand der Rüstungsindustrie stark einschränke, handelt es sich hier nicht um ein Wirtschaftsprojekt, sondern um Nothilfe.

Auch der Ukrainekonflikt zwingt uns zum entschlossenen Handeln. Es kann nämlich nicht sein, dass im 21. Jahrhundert die Integrität von Staatsgebieten verletzt und damit eindeutig gegen das Völkerrecht verstoßen wird. Das Verhalten, das an außenpolitische Verhaltensmuster aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert erinnert, darf im 21. Jahrhundert nicht unwidersprochen und ungestraft hingenommen werden. Deshalb sind die von uns beschlossenen Sanktionen gegen Russland absolut richtig und notwendig. Gleichzeitig dürfen in dieser Krise aber nicht die diplomatischen Kanäle abreißen. Mit Frank-Walter Steinmeier haben wir dafür genau den richtig Minister im Auswärtigen Amt. Seit Monaten ist er unermüdlich im Einsatz, in diesem Konflikt zu vermitteln und Gesprächskontakte aufrecht zu erhalten, um weitere Gewalt zu verhindern.

Kampagne „#DigitalLeben“

Neben den Herausforderungen, die sich für die SPD als Regierungspartei ergeben, müssen wir auch heute schon den Blick auf 2017 und darüber hinaus werfen. Konkret geht es um die Frage des gesellschaftlichen Wandels durch die Digitalisierung. Uns allen muss klar sein: das Digitale ist politisch! Politisch im umfassendsten Sinne, in dem Sinne, dass die digitale Revolution fast alle Lebensbereiche unserer Gesellschaft berührt! Wie wir kommunizieren. Wie wir arbeiten. Wie wir wirtschaften. Wie wir Freiheit und Demokratie gestalten. Was wir hier erleben, ist ein „Wendepunkt technologisch-gesellschaftlichen Wandels“, wie es der viel zu früh verstorbene Frank Schirrmacher auf den Punkt gebracht hat. Die Folge ist, dass die Digitalisierung politische Antworten erfordert. Um diese zu finden, haben wir auf dem Parteikonvent im September die Kampagne „#DigitalLeben“ gestartet. Unter der Frage „wie verändert das Internet unser Leben?“ sind alle GenossenInnen aber auch BürgerInnen aufgerufen, sich an der Diskussion zu Chancen und Risiken der Digitalisierung zu beteiligen. Begleitet wird die Kampagne durch eine eigene Plattform: auf www.digitalleben.spd.de finden sich alle weiterführenden Informationen. Am Ende des Prozesses soll ein gemeinsames Programm für die digitale Gesellschaft stehen, das vom Bundesparteitag im Dezember 2015 beschlossen wird. Gerade weil die Digitalisierung ähnlich fundamentale gesellschaftliche Auswirkungen hat, wie die Industrialisierung im 19. Jahrhundert, braucht sie klare Regeln. Hinsichtlich der Industrialisierung können wir heute sagen: Wir haben die Industrialisierung gezähmt! Gemeinsam mit den Gewerkschaften haben wir sie gebändigt. Aber ohne ihr ihre Innovationskraft und ihre gesellschaftliche Nützlichkeit zu rauben! Das ist unser historischer Erfolg!

Heute, 150 Jahre später muss uns dieser historische Erfolg wieder gelingen! Gerade damit sich die Chancen der neuen, weltweit vernetzten Gesellschaft entfalten können, müssen Freiheit, Gleichheit, Demokratie und Gerechtigkeit neu verteidigt werden.

Ich hoffe, dass sich die GenossInnen des Ortsvereins Grasdorf-Luttrum wie immer aktiv beteiligen und wir gemeinsam den Erfolg erzielen. Glück auf!

Der Beitrag von Sigmar Gabriel erschien in der Ausgabe 4/2014 des Rundbriefes des Ortsvereins Grasdorf-Luttrum. Die vollständige Ausgabe finden Sie hier: