Auf Grund der Beschränkungen durch die Coronapandemie fand am 13.03.2020 der vorerst letzte normale Kita-Tag in Deutschland statt. Seitdem sind 13 Wochen vergangen.

In den ersten Wochen haben sich viele Eltern irgendwie beholfen oder konnten doch ihre Kinder in die Notbetreuung gegeben, wenn sie die passenden systemrelevanten Berufe nachweisen konnten. So lange die Infektionszahlen stiegen, gab es bei den meisten auch ein einsehen. Mit sinkenden Infektionszahlen und Lockerungen für Wirtschaftsunternehmen, Geschäfte, Restaurants, Fitnessstudios etc. können viele Eltern den eingeschränkten Kita-Betrieb bestehend aus Notgruppen, Angebote für die Vorschulkinder und Spielgruppen nicht mehr nachvollziehen. Die Diskussionen um den Sinn und Zweck der Einschränkungen werden immer lauter.

Das eine sind die Wünsche der Eltern, genauer sollte man sich aber zunächst die Situation der Kinder anschauen.

Kinder haben ein Recht auf Bildung.

Durch die Schließung der Kitas über einen so langen Zeitraum wird die Kluft zwischen Kindern aus bildungsfernen und gut situierten Elternhäusern noch größer. Relativ schnell hat die Politik erkannt, dass die Kitas Programme für die Vorschulkinder anbieten müssen, damit zumindest so kurz vor der Schule noch eine Begleitung für alle Kinder bis zum Schulstart gewährleistet werden kann.

Ebenso gibt es bereits Angebote für Kinder mit erhöhtem Förderbedarf und für Familien mit schwierigen Lebenssituationen.

Kinder haben ein Recht auf Schutz.

Gewalt und Missbrauch in Familien ist nicht selten. Kitas können Kindern einen gewissen Schutzraum geben und Erzieher/innen können beratend in Erziehungsfragen zur Seite stehen, deeskalierend wirken oder bei Auffälligkeiten das Jugendamt einschalten und somit eine Kontrollinstanz sein. Wenn all dies wegfällt, warnen Ärzte und Kinderpsychologen zu Recht vor einem Anstieg von Missbrauchsfällen, die zur Zeit kaum erkannt werden.

Kinder brauchen Kinder.

Um die eigene Sozialkompetenz zu entwickeln brauchen Kinder andere Kinder, mit denen man spielen, sich freuen und sich ärgern kann, von denen man sich Dinge abschauen kann etc.. Nicht jedes Kind hat das Glück Geschwister zu haben und ja vielleicht sind Geschwister auch nicht immer ein Glücksfall. Viele Geschwister und vielleicht überforderte Eltern in einer zu kleinen Wohnung können auch zu problematischen Situationen führen. Und auch nicht jedes Einzelkind hat Defizite im sozialen Miteinander. Durch die Schließung und den jetzt eingeschränkten Betrieb wurden aber vielen Kindern die geschützten freien Entwicklungsräume der Kita genommen.

Auch die Wünsche und Forderungen der Eltern haben natürlich ihre Berechtigung. Familie und Beruf gemeinsam zu bewältigen, funktioniert in den aller meisten Fällen nur mit einem Betreuungsangebot der Stadt/Kommune. Notgruppen für systemrelevante Berufe anzubieten war somit richtig und wichtig, die Ausweitung der Notgruppen, hätten sich aber wahrscheinlich viele Eltern schneller gewünscht.

Irgendwann wurde klar, dass auch Kinder von Alleinerziehenden, egal in welchem Beruf Mutter oder Vater tätig ist, ein Angebot benötigen. Kita und Hort, Oma und Opa sind für viele Alleinerziehende eine essenzielle Hilfestellung, um den Alltag, ob mit oder ohne Erwerbstätigkeit, zu bewältigen.

Diese Systeme brachen für viele von jetzt auf gleich zusammen und es kam zu einer hohen psychischen und oft auch wirtschaftlichen Belastung.

Auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau muss hier in den Fokus genommen werden. Im Durchschnitt gibt es 5 Mal mehr alleinerziehende Frauen als Männer (2018: 407000 Männer, 2174000 Frauen, Quelle: statista.com), damit wird deutlich, wer die Hauptlast in dieser besonderen Situation zu meistern hat.

Durch unabhängig erhobene Daten (z.B. Mannheimer Corona-Studie) wird aber auch klar, dass selbst in funktionierenden Partnerschaften, die Frauen in der Coronazeit beruflich ins Hintertreffen kommen und sich alte Rollenbilder etablieren, die die bereits errungene Gleichberechtigung ins wanken bringt.

„Alarmierend ist aber die Tatsache, dass weit überwiegend Mütter diesen Rückzug aus der Erwerbstätigkeit vornehmen, sich um Kinder und Küche kümmern. Väter treten deutlich seltener zurück, bleiben bei ihrem Arbeitsleben, auch dann, wenn sie im Homeoffice arbeiten oder in Kurzarbeit sind.“(Quelle: zeit.de, Die Frauen verlieren ihre Würde). Zum Glück kenne ich auch andere Beispiele.

Im Umkehrschluss wird deutlich: Je mehr Betreuungsangebote, um so mehr Gleichberechtigung ist möglich.

Mit den Lockerungen, die für die Wirtschaft, den Freizeitbereich und auch im Schulbetrieb jetzt möglich sind, kann ich gut nachvollziehen, dass viele Eltern und Familien jetzt auch auf eine möglichst zeitnahe Wiederaufnahme der regelmäßigen Betreuung Ihrer Kinder in Krippe, Kindergarten und Hort pochen.

Vieles spricht dafür, dass der Zustand, der durch den eingeschränkten Kita-Betrieb entsteht, eigentlich für Familien und Kinder untragbar ist. Aber…

Im März 2020 stiegen die Zahlen der Coronainfizierten rasant an. Spätestens nachdem die infizierten Touristen aus Ischgil sich in ganz Europa verteilten und auch in unserer kleinen Gemeinde Holle wieder zu Hause ankamen, war der angeordnete Lockdown der Regierung die bestmögliche Entscheidung.

Genau dieses sieht das Infektionsschutzgesetz für solche Situationen vor.

Bereits vor Jahren haben sich Wissenschaftler Gedanken darüber gemacht, wie ein Pandemieszenario aussehen könnte und welche Handlungsoptionen möglich wären. Sars, Ebola und die Schweinegrippe (alles Zoonosen) hatte die Wissenschaft in Alarmbereitschaft versetzt, die Politik allerdings weniger.

Die vielen Ungewissheiten, die auch teilweise jetzt noch zum Thema Covid-19 vorherrschen, machen es Politikern in Entscheidungspositionen nicht einfach.

Auch in Bezug auf den Kita-Bereich gibt es immer noch viele Unbekannte:

Wie viele Kinder haben sich bereits infiziert? Sind Kinder Überträger? Wie sieht es mit dem Schutz von Erziehern und Erzieherinnen aus?

All diese unbeantworteten Fragen rechtfertigen die Schließung der Kitas und das doch sehr vorsichtige Wiederhochfahren des Kita-Betriebes. Denn eins steht fest, Covid-19 wird durch Tröpfcheninfektion übertragen. Krippen- und Kindergartenkinder befolgen aber im Kita-Alltag keine Abstandsregeln und nur wenig weitere Hygieneregeln. Jede/r Erzieher/in weiß, wie schnell nach dem sorgfältigen Händewaschen, der Finger doch wieder im Mund ist, wie viel Spucke beim Sprechen in Tröpfchenform durch die Luft fliegt und wie schnell die Kinder beim Spielen die Köpfe zusammenstecken.

Im Fokus all dieser Maßnahmen steht der Schutz von Menschen mit Vorerkrankungen und älteren Menschen und um eine Überlastung in den Krankenhäusern zu vermeiden, wie wir sie in anderen Ländern bereits gesehen haben und weiterhin sehen. Menschen mit Vorerkrankungen können Geschwister, Eltern und auch die Großeltern, die im gleichen Haushalt leben, sein. Wie es scheint, gibt es auch bei Kindern durch überschießende Immunreaktionen nach einer Covid-19 Infektion schwere Verläufe in Form des Kawasaki-Syndroms oder des PIM-Syndroms.

Wissenschaftler können der Politik Empfehlungen geben, Politiker müssen entscheiden. Ich glaube nicht, dass sich Politiker diese Entscheidungen leicht machen, und was richtig und falsch ist, kann oft erst im Nachhinein beurteilt werden.

Ich bin der Meinung, dass die Schließung der Kitas und der jetzt eingeschränkte Betrieb die richtige Entscheidung war und ist. Trotzdem ist es wichtig und richtig die Entscheidungsträger immer wieder auf die Rechte der Kinder und die Probleme in den Familien hinzuweisen, um Anpassungen vorzunehmen, sobald es möglich erscheint. Und das pädagogische Fachpersonal muss sich der Problematik bewusst sein und darf die Kinder und Familien der Einrichtungen nicht alleine lassen. Beratung, Hilfestellung, Bildungsangebote, Zugehörigkeitsgefühl all dies können Kinder und Familien eingeschränkt auch über andere Wege erhalten. Hier ist Professionalität, Empathie und Kreativität gefragt und ja, wir alle müssen durchhalten.

Ab dem 22.06.20 soll nun ein eingeschränkter Regelbetrieb wieder möglich sein, alle Kinder mit möglichst vielen Hygieneregeln zurück in die Kitas. Ein erster Schritt zur Normalität.