Zur Frage einer Großen Koalition – Groko als falsches Feld für die Auseinandersetzung
Seit Montag ist sie da: die Debatte über das „Ob“ einer erneuten Großen Koalition auf Bundesebene. Der Parteivorstand sprach sich in einem ersten Beschluss mit einem klaren Nein dagegen aus, andere Akteure innerhalb der SPD zeigten sich aus unterschiedlichen Erwägungen deutlicher offener. Die Große Koalition ist dabei das falsche Feld für die Auseinandersetzung.
Klar, unter demokratischen und parlamentarischen Gesichtspunkten darf eine Große Koalition keine Dauerlösung werden. Demokratie lebt von den unterschiedlichen politischen Polen, der Zuspitzung und der Darstellung von politischen Alternativen. Gleichzeitig ist anzumerken, dass von einer Großen Koalition, die den Namen auch verdient hat, wohl derzeit nur in Niedersachsen gesprochen werden kann.
Von grundsätzlichen Erwägungen losgelöst, ist die Große Koalition nicht per se schlecht. In einer Demokratie müssen demokratische Parteien in der Lage sein, Schnittmengen zu definieren und zu einer Zusammenarbeit zu finden. Das muss auch in der kurzfristigen und mittelfristigen Zukunft weiterhin möglich sein.
Warum ist die Große Koalition nun das falsche Feld für die Auseinandersetzung? Das Problem ist nicht die Große Koalition, sondern der Umgang der „Parteispitzen“ der letzten Jahre mit der SPD als Partei in der konkreten Situation der Großen Koalition. Das Problem ist der mangelnde Stellenwert, den die Partei innehat. Die Partei wird allenfalls noch als der verlängerte Arm in einer sozialdemokratischen Regierungsbeteiligung gesehen und es ist kein Wunder, wenn dieser irgendwann vor sich hindümpelt.
Wenn wir 12 Jahre zurückschauen, auf den Beginn der Großen Koalition 2005, dann erinnern wir uns an die Debatte um die Besetzung der Funktion des Generalsekretärs bzw. der Generalsekretärin. Die ehrlich gemeinte Kritik an dem Vorschlag des damaligen Parteivorsitzenden und damals designierten Vizekanzlers betraf nicht die Qualität und Kompetenzen der Personen. Es ging im Kern um die Frage, welchen Stellenwert und welche Rolle die SPD als Partei in einer Großen Koalition haben soll!
Aus heutiger Perspektive muss man hinzufügen: Auch haben muss! Wenn man sich weite Teile der sozialdemokratischen Parteistrukturen in Deutschland anschaut, dann bedarf es hier einer starken Modernisierung und in einer Teilen einer Stärkung und Wiederherstellung von funktionierenden Strukturen. Ziel muss sein, dass die SPD auch in der Fläche und in politisch schwierigen Regionen präsent ist. Wenn man sich die gesellschaftlichen Anbindungen der Sozialdemokratie bewusst macht, dann wird deutlich, dass viel Zeit und Kraft erforderlich ist, um die Sozialdemokratie als Gesprächspartnerin wieder zu verankern. Wer sich gesellschaftspolitische Debatten ansieht und will, dass diese in der SPD programmatischen Niederschlag oder zumindest inhaltliche Auseinandersetzung finden, der muss Möglichkeiten haben oder ggfs. schaffen, offen, ohne permanente Kettung an das tagesaktuelle Regierungshandeln mit gesellschaftspolitischen Impulsen umzugehen, diese aufzugreifen, zu modifizieren und in eigene Ideen und Programmimpulse einfließen zu lassen.
Und hier sind wir bei den eigentlichen Problem in Zeiten einer Großen Koalition: Die SPD hatte als Organisation in den zurückliegenden Jahren einen untergeordneten Stellenwert. Erforderliche Debatten um Strukturen und Programme wurden dem Regierungshandeln untergeordnet. Parteitage hatten oftmals nur noch die Funktion eines Schaulaufens von Regierungsmitgliedern und von „Familientreffen“, bei denen man sich freut, Mitstreiter*innen aus zurückliegenden Zeiten zu treffen.
Viele Beiträge der letzten Tage von Befürwortern einer Großen Koalition haben darauf hingewiesen, dass es in dem Fall einer erneuten Großen Koalition fester Vereinbarungen und Vorgaben mit dem Koalitionspartner bedürfe. Fast eine Binsenweisheit, denn das ist das Geschäft von Koalitionsverhandlungen und schließlich Gegenstand von Koalitionsverträgen. Wobei festzuhalten ist, dass bereits der letzte Koalitionsvertrag auf Bundesebene eine deutliche sozialdemokratische Handschrift trug. Positive Effekte für die SPD? Gleich null!
Neben der Verabredung konkreter (sozialdemokratischer) Projekte in einem Koalitionsvertrag sind vielmehr feste innerparteiliche Verabredungen über Veränderungs- und auch Programmprozesse zu treffen. Und es bedarf der Personen, die sich dieser Aufgabe voll und ganz annehmen. Ein Plädoyer für eine Personaldebatte? Nein, aber der Wunsch und Anspruch, dass bei Spitzenfunktionen innerhalb unserer Partei nicht das Karrieresprungbrett im Mittelpunkt des Interesses steht, sondern die Aufgabe für die SPD.